Thomas Behling

Obskur. Verbergen und zu sehen geben im Werk von Thomas Behling

von Dr. Heinz Stahlhut

Eigentlich ist Kunst doch zum Anschauen da! Betrachterin und Betrachter sollen sich freuen an leuchtenden Farben und dynamischen Formen, angesichts edler Einfalt und stiller Grösse in nachdenkliches Schweigen versinken oder von der Darstellung unhaltbarer sozialer Zustände aufgebracht und zum Handeln angeregt werden.

Der Künstler Thomas Behling aber enttäuscht in seinem Schaffen immer wieder diese Erwartung:
Bei Weitsicht, 2017, ist das Gesicht des porträtierten, eleganten Herrn unter einem schwarzen Farbfleck verborgen. Der unregelmässige Rand des Farbauftrags lässt darauf schliessen, dass es sich dabei um Sprühfarbe handelt. Dergleichen kennt man als Vandalenakt im öffentlichen Raum, bei dem Gesichter auf Plakaten verunstaltet oder ganz übermalt werden. Ist bei erstem die Wahl des zu attackierenden Gesichts eher zufällig, gibt es des weiteren - nun eher in der Sphäre des Kunstwerks angesiedelt - die damnatio memoriae, also die Übermalung der Physiognomie als intendierten und zielgerichteten Akt, um einen Widersacher aus der öffentlichen Erinnerung zu löschen." In jedem Fall ist in Thomas Behling Assemblage gerade das verdeckt und damit dem Betrachter entzogen, um das es im Bildnis vordringlich geht: das Gesicht.

Entzug des Sichtbaren
Auch in Selbsterkenntnis, 2016, wird dem Betrachter der Anblick des Gesichts vorenthalten, in diesem Falle aber des eigenen. Denn es handelt sich bei dieser Plastik um eine Konstruktion aus zwei waagrecht übereinander angebrachten Spiegeln, bei denen die gläsernen Seitenwände der Vitrine verhindern, dass man sein Gesicht spiegeln kann. Das Einzige, das das Spiegelobjekt zu sehen gibt, sind Schatten und Reflexionen auf den Glaswänden der Vitrine.

Vom Verbergen kann man geradezu sprechen bei Sonnenaufgang auf Lesbos II von 2016. Flecken und ein kleines Loch auf und in der Wand verleiten dazu, sich dieser zu nähern und in das Loch zu spähen; der Blick fällt über einen Klippenrand auf einen scheinbar von der aufgehenden Sonne sanft rosa gefärbten Meeresspiegel. Trotz des erhebenden Anblicks ist die Situation für den Betrachter unerquicklich. Denn um in das Loch hineinschauen zu können, muss man den Kontrollblick auf die eigene Umgebung aufgeben und setzt sich dabei zudem der Gefahr aus, bei diesem Schlüssellochblick als Voyeur erwischt zu werden.

The purloined letter
Auch die Collage Endlich Frieden mit der deutschen Geschichte, 2013, bei der unterschiedlich farbige Briefmarken mit dem Konterfei Adolf Hitlers einen Regenbogen bilden, ist ein Versteckspiel. Der Sinn verbirgt sich hier darin, dass eine Briefmarke gefälscht ist und der Regenbogen - seit dem Alten Testament Sinnbild des Friedens - damit hinfällig wird. Wie in Edgar Allan Poes berühmter Detektiverzählung (link), in der der titelgebende entwendete Brief an der sichtbarsten Stelle, nämlich einer Briefablage, „versteckt“ wurde, „verbirgt“ sich auch die falsche Briefmarke unter den echten und kaschiert so den tieferen Sinn der Collage.

Potemkinsche Dörfer
Doch es gibt in Behling Schaffen auch Werke, die das Funktionieren von Illusion vor Augen führen und diese damit zerstören. Von fern leuchtet der Morgenstern von 2015 zeigt die symmetrisch und golden erscheinende Silhouette eines Tannenwaldes aus Pappe direkt an der gläsernen Vorderwand eines Kastenrahmens. Die Frage, warum eine solch flächengebundene Form denn in einer solchen Vitrine präsentiert wird, klärt sich, wenn man die Schmalseite des Objektes anschaut. Von dort blickt man unmittelbar auf eine hinter der Silhouette befindliche Konstruktion aus feinen Holzlatten, die an die Gerüste erinnert, mit denen Billboards an Strassen aufgestellt und gesichert werden. Das der frühromantischen Malerei eines Caspar David Friedrich entlehnte Motiv der Baumgruppe, die in ihrer Symmetrie und Filigranität schon dort nicht zufällig an gotische Sakralarchitektur erinnert, wird durch das Gerüst als Scheinarchitektur und das implizite Heilversprechen als Lug und Trug entlarvt.

Dass das Element des Verbergens so regelmässig in Thomas Behlings Schaffen wiederkehrt, hat mehrere Gründe.
Offensichtlich ist, dass der Künstler Freude hat am Umgang mit gefundenen Materialien und an der Bricolage, dem Zusammensetzen von Fundstücken, welches diesen oftmals einen neuen Sinn verleiht. Das sprichwörtliche „zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ - erstmals von Isidore Lucien Ducasse in seinen 1868 erschienenen Chants de Maldoror geprägt für die Verbindung zweier oder mehr Gegenstände, die wir im Alltag nicht zusammen sehen - erwies sich schon bei den Dadaisten und Surrealisten als den unmittelbaren Jüngern Ducasses’ als fruchtbar. Das Zusammentreffen gegensätzlicher Objekte fördert auch bei Thomas Behling Werken Qualitäten an den Gegenständen zutage, die uns im gewöhnlichen Gebrauch verborgen bleiben.

Drüber hinaus aktiviert das Spiel mit dem Verbergen die Phantasie des Betrachters. Als berühmtes künstlerisches Vorbild für das Kaschieren kann man Marcel Duchamps Readymade With hidden noise von 1916 nennen. Es markiert im Schaffen des Künstlers den Übergang von den einfachen Alltagsgegenständen, die durch die Signatur Duchamps und die andersartige Platzierung als im täglichen Gebrauch zu Kunstobjekten erhoben wurden, zu elaborierteren Assemblagen. die Duchamp als „assisted Readymades“ bezeichnete. An Ostern 1916 fügte Duchamp eine Schnurrolle zwischen zwei Metallplatten ein und bat seinen Freund und Förderer Walter Arensberg, in den Hohlraum der Schnurrolle einen Gegenstand einzufügen, ohne ihn darüber aufzuklären, was für ein Objekt dies sei. Dann wurden die beiden Metallplatten mit Schrauben fixiert, sodass der Gegenstand sich zwar beim Schütteln der Konstruktion im Innern der Rolle bewegen und Geräusche - eben jene titelgebenden, versteckten Geräusche - erzeugen würde; aber über die Eigenart des Objektes im Inneren hätte man sich nur um den Preis der Zerstörung der Konstruktion Aufschluss verschaffen können.¹
Dieses Spiel mit dem Verbergen als Motor der Imagination des Betrachters erstaunt wenig bei Duchamp, der Betrachterin und Betrachter in seinen Werken immer eine grosse Rolle zugedacht hatte, wie er 1957 in seinem Vortrag The Creative Act explizit ausführte: „Alles in allem wird der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen; der Zuschauer bringt das Werk in Kontakt mit der äusseren Welt, indem er dessen innere Qualifikation entziffert und interpretiert und damit seinen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt.“²
Mit seinen Objekten, die Witz und subversive Energie mit denen seiner grossen Vorgänger teilen, muss sich auch Thomas Behling nicht hinter Dadaisten und Surrealisten verstecken.

¹ Ann Temkin: Twentieth Century Painting and Sculpture in the Philadelphia Museum of Art, Philadelphia 2000, S. 48.

² Zitiert nach: Marcel Duchamp: Der kreative Akt, in: Marcel Duchamp, hrsg. vom Museum Jean Tinguely, Ausst.Kat. Museum Jean Tinguely, Basel 2002, S. 43.

© 2017 Heinz Stahlhut
Erschienen in "Das Rückspiegeleiland" anläßlich der gleichnamigen Ausstellung im Kunstraum Neureut (18.1. - 4.2.2018)