Déjà vu – Bildzitate im Werk von Thomas Behling
Beim Betrachten der Arbeiten von Thomas Behling stellt sich nicht selten der Eindruck ein, man habe seine Motive schon einmal gesehen. Manches erscheint vertraut, ohne dass es sofort gelänge, diese Eindrücke zuzuordnen. Eine ganz einfache Erklärung könnte sein, Behlings Arbeiten bereits in Ausstellungen oder auf Messen, zumindest jedoch als Abbildung in Ausstellungskatalogen gesehen zu haben. Wer dies jedoch für sich verneinen muss, dem bleibt die Frage unbeantwortet, wie sich der Wiedererkennungseffekt erklären ließe.
Möglicherweise stellen sich auch bald erste Zweifel ein, weil die Ähnlichkeit eben über eine Ähnlichkeit nicht hinaus geht, oder weil das Wiedererkennen durch „Fremdkörper“ irritiert wird: die Wipfel von Tannen, pyramidenförmig wie auf einem Berggipfel inszeniert und dahinter ein stimmungsvoller Abendhimmel..., diese Bestandteile einer romantischen Landschaftsdarstellung könnten aus dem frühen 19. Jahrhundert stammen, Vergleiche zu Caspar David Friedrich stellen sich ein. Jeder Versuch jedoch, eine exakte Motivvorlage zu ermitteln, erweist sich meist als beschwerlich oder gar unmöglich (vgl. „Erscheinungswölkchen I“, (2008)).
Wie ein Déjà-vu, ein schon einmal Gesehenes, wirken zahlreiche Motive des 1979 in Hannover geborenen Thomas Behling. Bildzitate, Adaptionen oder Anspielungen sind Möglichkeitsformen für den Künstler, dessen Werk jedoch keineswegs auf die Auseinandersetzung mit Vor-Bildern reduziert werden kann, schon gar nicht als Beitrag zur Appropriation-Art verstanden werden soll. Arbeiten wie „Bist Du Opfer dunkler Mächte?“ (2010), „Stern“ (2010) oder „Struktur total“ (2011) deuten darauf hin, dass der Künstler auch anderen Fragestellungen nachgeht, wie es Corona Unger und Rainer Bessling in früheren Katalogpublikationen bereits anschaulich dargelegt haben.
Im Folgenden sollen einige Arbeiten vorgestellt werden, bei denen Thomas Behling auf der Grundlage „gefundener“, fremder Bildvorlagen seine eigenständigen, neuen Motive entwickelt. Kitschbilder gehören ebenso zu seinem Ausgangsmaterial, wie alte Familienfotos vom Trödelmarkt oder Werke der Kunstgeschichte. In seiner Arbeit geht es dem Künstler dabei keineswegs um eine Art Bilderrätsel, bei dem das Wiedererkennen der Vorlagen der alleinige Zweck wäre. Interessant wird es erst, wenn über das Wiedererkennen der Vorlage hinaus auch das „wie“ der künstlerischen Aneignung reflektiert wird. Behling begnügt sich nicht mit dem reinen Zitat; der Reiz seiner Kunst besteht oftmals darin, dass etwas von dem Ausdrucks- und Aussagewert des vorgefundenen Motivs mittransportiert wird, um es dann zum unterschwelligen Bestandteil der durch künstlerische Eingriffe herbeigeführten neuen Aussage zu machen.
Schauen wir – um dieses Verfahren zu verdeutlichen – exemplarisch auf die Arbeit „Jesus“ aus dem Jahr 2009. Von einem dunklen Grund hebt sich eine stehende Christusfigur ab, wie sie in der Kunst des 19. Jahrhunderts immer wieder vorgekommen ist. Mit Mittelscheitel, langem gewelltem Haar und Bart, dazu einer um seine linke Schulter geschwungenen Gewandung entspricht sie den Vorstellungsbildern damaliger Zeiten vom „wahrhaftigen“ Aussehen des Gottessohnes. Die Arme sind einladend dem Betrachter entgegengestreckt und es wäre vorstellbar, der Figur das Bibelzitat „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid ...“ hinzuzufügen. All diese Merkmale erscheinen uns aus unzähligen Darstellungen religiöser Kunst vertraut, bis auf eine kleine, in Bauchhöhe befindliche Wolke, die zwischen den ausgestreckten Armen des Christus geheimnisvoll zu schweben scheint.
Thomas Behling hat für seine Arbeit „Jesus“ die fotografische Reproduktion des berühmten „Christus“ (1827-33) von Bertel Thorwaldsen gewählt, genauer gesagt die fotografische Reproduktion einer der zahlreichen Nachbildungen von Thorwaldsens berühmter Skulptur aus der Frauenkirche zu Kopenhagen. Das hinzugefügte „Erscheinungswölkchen“ (Behling) – in dem allerdings nichts erscheint! - ist die einzige Abwandlung des vorgefundenen Motivs und doch ist es dieser kleine Eingriff, der die Bildwirkung entscheidend verändert. Der schlichte sakrale Ausdruck der Thorwaldsen-Figur bekommt etwas Wundersames, es scheint, als würden die ausgestreckten Christushände selbst die Wolke erzeugen und deren Schweben überhaupt erst verursachen. Eine Wundertat wäre es, vollbracht vor den Augen der Betrachter, wobei der Wundertäter konzentriert oder vielleicht auch selbst verwundert auf seine Hervorbringung schaut: Zwar ist uns überliefert, dass per Wundertat Wasser zu Wein wurde, oder das Kranke durch seiner Hände Berührung Heilung erfuhren, aber von einem Wölkchen dieser Art steht nirgends geschrieben, und was erscheint denn nun überhaupt darin?
Es ist wohl ein schöner Zufall, dass Thomas Behlings Zutat der Wolke zugleich auf Bertel Thorwaldsens Inspirationsquelle, nämlich das Gemälde „Die klugen und die törichten Jungfrauen“ (1813-16) von Peter Cornelius verweist, auf dem der Gottessohn auf einer kleinen Wolke stehend, vom Boden abgehoben, den klugen, vorsorgenden Jungfrauen erscheint.
Es wird überliefert, dass der dänische Bildhauer Schwierigkeiten hatte, eine gelungene Pose für seinen Christus zu finden, der in Kopenhagen von einem Sockel herab die Besucher der Kirche in Empfang nehmen sollte. Mehrere Versuche wurden als untauglich abgetan bis schließlich Cornelius' Bild die entscheidende Wendung herbeiführte. Weil darauf Christus aus erhöhter Position auf die Jungfrauen herabblickt, sind nicht nur seine Arme ihnen entgegengestreckt, sondern auch sein Kopf leicht nach unten geneigt.
Thomas Behling deutet die Körperhaltung, insbesondere den geneigten Kopf der Christusfigur in der Weise um, dass ihr Blick nun dem „Erscheinungswölkchen“ gilt. Aus dem die Gäste einer Kirche empfangenden Christus ist etwas wie ein Magier geworden, der gebannt auf das Werk seiner wundersamen Fähigkeiten schaut. Thomas Behling geht nicht allein verfremdend und irritierend mit seiner Bildvorlage um, vielmehr wird der sakrale Habitus der Kirchenskulptur unter seinem Eingriff ironisch gebrochen. In ähnlicher Weise verfährt Thomas Behling auch bei „Christus anklopfend“ (2008) oder „Fürchte Dich nicht, ich bin mit Dir“ (2011) ironisch mit seinen Bildvorlagen.
Geradezu brutal scheint dagegen die Wirkung, welche die pinkfarbene, aus der Sprühdose auf Glas aufgebrachte Schrift „Ich fick Dich“ aufwirft, die vor einen von Behling kopierten Ausschnitt der berühmten Sixtinischen Madonna (um 1513) Raffaels gesetzt wurde. Insbesondere dieses Gemälde war in früheren Jahrhunderten zum Inbegriff religiöser Malerei geworden, ein Bild, an dem man die menschlichen Züge der Maria bewunderte und das schließlich zum Gegenstand geradezu kultischer Verehrung wurde.
Die vulgäre, geradezu brutale Ankündigung des Bildtitels steht im krassen Widerspruch zu der himmlischen Anmut der Maria; das in altmeisterlicher Manier vorgetragene Motiv Raffaels scheint kaum vereinbar mit der an Wandschmierereien erinnernden Schrift.
Doch trotz dieser starken formalen und inhaltlichen Kontraste strebt Thomas Behling mit dem Aufgreifen der Raffael-Vorlage noch etwas anderes an. Durch die aufgesprühten Worte wird die theologische Debatte um die jungfräuliche Empfängnis der Maria in Erinnerung gerufen und zugleich durch die plumpe Ankündigung reiner Sexualität wieder überlagert.
Die Absicht des Künstlers Thomas Behling besteht weder bei seinem Thorwaldsen-Zitat, noch bei der Raffael-Überarbeitung darin, die zitierten Werke zu diskreditieren. Vielmehr entlarvt er etwas an ihnen, indem er sie uns noch einmal durch die „Brille“ unserer aufgeklärten, reflektierten Weltsicht zeigt. Durch Thomas Behlings Eingriffe nehmen wir die zitierten Bildvorlagen und deren Aussagen unter anderen Gesichtspunkten wahr. Das gilt auch dann, wenn sich der Künstler auf nicht-religiöse Vor-Bilder bezieht und z.B. ein Motiv der politischen Linken („Der Traum“, 2012) oder Bildvorlagen von Otto Quante aus den 1930er Jahren zum Ausgangspunkt seiner Arbeit macht ("Homage an Otto Quante", 2004). Mit den Mitteln der Ironie und des Kommentars leuchtet der Künstler aus, was wir kennen oder doch nur zu kennen glaubten.
Detlef Stein